Mittwoch, 16. Juli 2014

Inspiriert

von Frau nima´s Post, muss ich meine eigene Studie dagegen halten...

Ja, es gibt die Menschen, so wie sie sie beschreibt. Jeder dieser Menschen hat seine Geschichte. Viele will ich gar nicht wissen, aber manche berühren eben.

Diese Woche hatte ich zwei solcher Erlebnisse... Beide gestern...

Ich stehe mit dem Bus in Warstein am Markt. Da tauchen zwei Männer an der Bustür auf. Der Eine groß und dünn. Lange, fettige, dünne Haare. Das Gesicht, als ob er mal Pocken gehabt hätte. Tätowiert und gepierct. Die Kleidung alles andere als sauber. Wie man sich eben einen Junkie vorstellt.
Dieser Mann hatte einen Anderen gestützt, der aussah, als wäre er volltrunken.
Der "Junkie": "Würdest du den Mann bitte mitnehmen. Er hatte einen epileptischen Anfall..." Mein Widerwille stand mir auf der Stirn geschrieben!
Da rappelt sich der "Betrunkene" auf und sagt mit klarer Stimme: "Bitte, ich will nur nach Hause!"
Also bin ich zur Seite getreten. Der Mann ließ sich auf einen der Sitze sinken und fing dann an zu erzählen.
Er merkt, wenn so ein Anfall kommt. Schwindel und das Wissen, dass ES jetzt passiert. Er sucht Halt und kann keinen finden - fällt einfach um.
Wenn man bedenkt, dass die Marktplatte vor dem Dom um die Mittagszeit gut mit Menschen gefüllt war, stellt sich mir die Frage: warum kümmert sich ein "Junkie" um so jemanden und nicht die gut situierten Bürger? Warum sieht so ein Mensch hin und nicht die "Normalos"?
Weil so ein Mensch selbst schon tief unten war und weiß, wie das ist.
Die Anderen werden das Gleiche gedacht haben, wie ich...
Fazit für mich - mal wieder: 2x hinschauen!

Nach Feierabend war ich noch in einem kleinen Dörfchen bei Meschede. An einer Kreuzung musste ich anhalten...

Dazu gibt es eine Vorgeschichte...
Letzten Winter standen in diesem Dorf 2 Menschen an der Haltestelle. Es war kalt. Schneeregen. Nicht wirklich gemütlich. Ich hielt an und eine Frau kam auf mich zu. "Haben Sie Zeit mir zu helfen, meinen Sohn in den Bus zu bekommen?"
Ich wieder... Lockeres Mundwerk... "Zeit haben wir nie, aber helfen - natürlich!"
Der junge Mann -nicht mal 20 Jahre alt- kann kaum laufen. Mühselig auf einen Rollator gestützt kam er an die hintere Bustür. Trotz absenken dauerte es eine Weile, bis er drin war und sicher saß.
Seine Mutter hat sich ganz herzlich bedankt und gefragt, ob er seinen Umsteigerbus noch bekommen würde? Er hätte gerade eine schwere Erkältung gehabt.
Auf Grund der witterungsbedingten Verspätung und dieser "Verladeaktion" hatte ich gut 10 Minuten Verspätung. So konnte ich nur sagen, dass ich mein Bestes versuchen würde.
Sobald es möglich war, funkte ich den Kollegen an. Einer im weißen Hemd, Krawatte - sympathische Erscheinung... "Ich habe einen Umsteiger für dich und ich habe 10 Minuten Verspätung. Der Umsteiger muss unbedingt mit dir fahren!" Er hätte keine Zeit! Also bin ich deutlicher geworden: "Der junge Mann ist schwer behindert. Er kann unmöglich bei diesem Wetter eine Stunde warten." Ich solle mich beeilen!
Im Minutentakt fragte er ab, wo ich denn gerade wäre! Als ich noch 2 Minuten vom Busbahnhof entfernt war, meldete er, dass er abgefahren ist! Seine Fahrgäste wollten auch noch irgendwohin!
Dann geht ja was los bei mir und es ist mir ziemlich egal, dass das alle mithören können!
"DAS glaube ich ja jetzt nicht! Du lässt einen schwer Behinderten einfach im Regen stehen, weil andere nach Hause wollen? Ich hoffe, dass weder du noch deine Fahrgäste jemals in so eine Situation kommen, wie der junge Mann hier! Und wenn doch, wünsche ich allen, solche Menschen zu finden, wie dich!"
Da meldete sich ein anderer Kollege: "Andrea, ich fahre gleich den Nachtbus. Lade den jungen Mann aus. Ich fahre dann vor und lade ihn sofort wieder ein!"
Meine spontane Reaktion: "Du bist ein Engel!"
Der Clou an der Sache war: der Kollege, der den Nachtbus fuhr, war viel zu früh! Er hätte erst 2 Stunden später einsetzen müssen! Das wusste er aber nicht...

Diesen jungen Mann sah ich gestern wieder. Die Begegnung mit ihm ist ein gutes halbes Jahr her. Ich war mit meinem PKW unterwegs. Im Winter war es dunkel, gestern schien die Sonne vom blauen Himmel. Er sah mich auch und strahlte über das ganze Gesicht! ...und er fragte, wie es mir geht?!?
Er hat mich sofort wieder erkannt. Das Schöne: er war nur noch mit Krücken unterwegs! Und er war der Meinung, dass das Leben immer weiter geht und er noch viel üben muss...

Fazit für mich: gepflegte Menschen sind genauso wenig das, was sie erscheinen, wie solche, die nicht der Norm entsprechen - äußerlich.

Zwei Erlebnisse, die mein Herz berührt haben! Zwei Erlebnisse von vielen, die mich dankbar machen...




10 Kommentare:

  1. Ja, wir urteilen schnell. Nicht jeder ist das was wir im ersten Moment sehen. Manchmal muss man Menschen neu sortieren.
    Lassen wir uns doch ab und an überraschen.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  2. Der Einblick in deinen Berufsallltag tut gut. Die Geschichten dahinter sind die wahren..die machen das Menschsein aus.
    Danke für den unstrickigen Post…
    Grüessli Pia

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  3. Ich habe leider unabsichtlich dein Kommentar von gestern gelöscht, da ich den Doppler entfernen wollte, aber nicht gesehen habe, dass das richtige Kommentar als antwort eingegeben war - tut mir wirklich leid :(

    Denn eigentlich wollte ich dazu schreiben, dass meine "Studie" natürlich nicht auf Menschen abzielt, die eh schon vom Leben gezeichnet sind - wie z.B. Obdachlose, Junkies oder gesundheitlich beeinträchtige Leute. Darüber mach nicht mal ich mich lustig (und ich mach mich über ziemlich viel lustig) :)

    Deine Geschichten finde ich immer wieder faszinierend - es ermöglicht einen Einblick von der "anderen" Seite!

    Alles Liebe nima

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  4. Hallo Ricolina
    gerne schaue ich ab und zu in deinen blog. Er gefällt mir gut. Deine wahren Geschichten stimmen einen immer nachdenklich.
    Ich finde deinen Schreibstil sehr gut, man kann nachvollziehen, resp. man könnte meinen man steht mitten in der Situation. Vielleicht schreibst du deine Kurzgeschichten auf und wer weiss, ob einmal ein Buch dabei ensteht. Ich würde es auf jeden Fall gerne lesen und auch einmal bei dir im Bus mitfahren.
    Herzliche Grüsse

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  5. Oh ja, man muss viel öfter inne halten und reflektieren. Nicht einfach immer nur das Leben an sich vorbei ziehen lassen. Das macht letztendlich die Menschlichkeit aus ♥

    Schön, dass du hinguckst. ... auch ein zweites Mal.
    Oft kommt dabei nämlich ein vielfaches zurück :-)

    GLG Lehmi

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  6. Das kommt mir alles soooooo bekannt vor.... lieber gaffen als helfen.
    Feine Gesellschaft haben wir hier in unserem Land.
    Nachdenkliche Grüße übern Berg
    Ann

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  7. Ich lese deine Erlebnisse immer wieder gern, beweisen sie mir doch, dass man wirklich mehr als einmal hinschauen muss, und dass man sich wirklich nicht auf "wohlhabende und gut aussehende" Menschen verlassen kann, die sind meist viel zu eigensuechtig..........., leider.

    Baci, Monika

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  8. ich kann mich den anderen nur anschließen - mancher Schein trügt gewaltig - ich selbst hab mich auch schon öfters getäuscht in den Menschen - im guten wie im schlechten ..... danke fürs hinschauen, helfen und uns daran teilhaben lassen!!
    liebe Grüße
    Manu

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  9. Ich freue mich so, dass du es so schreibst, wie ich es, als Sozial Arbeitende nicht nur im Job sondern auch privat erlebe. Unter Kollegen, die eben auch ihre Etikettenbrille aufhaben. Und das Erstaunen darüber, dass es die Menschen sind, mit denen man nicht unbedingt gerechnet hätte und die dann meine "heimliche Brille" mir bewusst machen und mir dann klar wird: Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst von dieser Welt" nach Gandhi :-) Liebe Grüße Uta

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  10. Wie sagt man so schön..es ist nicht alles Gold was glänzt!Vielen Dank für diesen sehr interessanten Bericht Andrea!
    LG Sonja

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